Betrachtungen zur Ordnung

„Es ist eine Ordnung, die das Wissen der Seele und deren Unendlichkeit spiegelt“ – Hermann Broch

Ich schaffe Ordnung um das innere Chaos zu kompensieren.

Seit Jahren wühle ich nun in Marken herum und stoße immer wieder auf neue Schätze der Absurdität, der Soziologie eines Landes, dessen Geltungsdrang und Sehnsüchten. – Von diesen Dingen fertige ich Sammlungen an. – Ich sehe was, was Du nicht siehst!
Wenn ich Briefmarken zu meinen Sammlungen hinzufüge, dann wende ich Ordnungsprinzipien an, die aus anderen Sphären als denen der Philatelie entsprießen. Ordnungsprinzipien, die dem normalen Philatelisten völlig undurchsichtig sind.

Eine kleine Anekdote hierzu: Auf der Kantstraße gibt es ein Briefmarkengeschäft, das von einem Iraner betrieben wird. Ich fragte dort nach einer Packung Schah-Briefmarken. „Welche“, wollte der Inhaber wissen. Ich sagte: „Irgendwelche, Hauptsache sie sind billig und der Schah ist drauf.“ Wenn ich nicht sagen könne, welche, aus welchem Jahr, welche Auflage, dann könne er mir auch nichts raussuchen. Gerade als ich das Geschäft verlassen wollte, sah ich aus dem Augenwinkel in einer Grabbelkiste ungefähr zwanzig Packungen mit verschiedenen Schah-Briefmarken!

Im Kopfe des Händlers ist der Marktwert, das Ausgabedatum, die Zackung, die Auflage gespeichert. Nach einem Bildwert gefragt, kann sein Gehirn auf nichts zugreifen.

Die Ordnung des Einen ist nicht unbedingt dem Zweiten ersichtlich, es sei denn, er „beobachtet“ die Ordnung des Ersten. Sich auf eine Ordnung einzulassen, bedeutet einen Zugewinn an Erkenntnis. Plötzlich, im Betrachten eines Dinges unter einem neuen Ordungsaspekt enthüllt sich etwas von dem Wesen des Dinges.

Ordnung, die aus der Leere schöpft, also um der Ordnung willen ordnet, ist nicht kreativ. Sie folgt bloß einer Konvention, deren Sinn abhanden gekommen ist. Leere Ordnung ist destruktiv. Es wird einer Formalie Genüge getan, deren Zweck nicht mehr erfüllt wird. Sie schafft weder Nützlichkeit noch Erkenntnis.

Ordnung ist ein schöpferischer Akt aus dem Chaos. Ich greife aus der Fülle der Dinge eines heraus und betrachte es. Ich finde Dinge die ihm ähnlich sind. Ich stelle ihm Dinge gegenüber, die ihm unähnlich sind. Durch Vergleichen und Gegenüberstellen gewinne ich Erkenntnis.

Ordnung, die Erkenntnis schafft, ist kreative Ordnung.